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Redefreiheit

Wieso die Unterdrückung von uns falsch erscheinenden Ideen fatal für uns alle ist.

Die Hinterfragung unserer eigenen Ideen zu unterbinden, ist die genaue Gegenthese einer progressiven, demokratischen Gesellschaft. Durch sozialen Druck – und zunehmend auch restriktive Gesetze – eine Infragestellung auch unserer nobelsten Ideen zu unterbinden, ist zutiefst reaktionär und blockiert unsere Weiterentwicklung. Unliebsame widerstände einfach wegwischen zu können, verführt uns dazu die Realität zu übergehen und uns deswegen nicht mehr an sie anpassen zu können. Natürlich ist es psychologisch am bequemsten, unsere Gewohnheiten nicht aufgeben zu müssen. Die Realität zu lange und in zu großem Ausmaß zu übergehen, macht uns allerdings unfähig, adäquat mit unserer Umwelt interagieren zu können.

Vermeidungstaktik

Dogmatische Autokratien ersticken Widersprüche gegen sie nicht aus Spaß daran im Keim. Sie müssen das tun, weil sie eben nicht vernünftig begründet werden können. Totalitäre Regime müssen Gewalt anwenden, da sie nicht rational überzeugen können. Es könnte ihren Einfluss nur schwächen, sich auf peinlich verlaufende Diskussionen einzulassen. Dem entsprechend ist die Verweigerung auf kritische Fragen sachlich einzugehen, ein guter Indikator dafür, dass die jeweilige Person sehr wahrscheinlich keine überzeugenden Antworten kennt. Andernfalls würde sie die Gelegenheit begrüßen, die Situation aufklären zu können.

Ideologie der Irrationalität

Die uns aktuell fast überall in westlichen Ländern aufgedrängte Woke-Ideologie erscheint mir sehr problematisch. Sie zerschlägt im Eiltempo gezielt die Freiheiten, auf denen sie selbst basiert. Menschen, die sie vertreten, lehnen Vernunft ab und behaupten von ihnen rationale Nachvollziehbarkeit einzufordern, wäre repressiv. Wissenschaft und Rationalität stufen sie als Unterdrückungsmechanismen ein. Stattdessen wird von uns allen eine bedingungslose Solidarität mit obskur und beliebig definierten Opfergruppen eingefordert. Dabei übersehen vertretende der Identitätspolitik, dass wir ohne eine gemeinsame Basis keine funktionierende Gemeinschaft bilden können und jede Kooperation verunmöglichen. Wo früher der gesunde Hausverstand gefragt war, wird heutzutage bedingungslose, blinde Validierung für häufig völlig irrationale Empfindungen von Leuten gefordert, die bei jeder Infragestellung der Angemessenheit ihrer Empfindungen emotional entgleisen.

Die aktuell vorherrschende Ideologie ordnet alle Menschen Gruppen zu. Jene, die wegen oberflächlicher Attribute eventuell irgendwo Nachteile haben, gelten als unterprivilegiert. Als privilegiert gelten alle übrigen Leute. Äußerungen von privilegierten Menschen werden grundsätzlich maximal feindselig ausgelegt und gegen sie benutzt, wo sie nicht sowieso absichtlich übergangen werden. Die Idee dabei ist, dass ihre Bedürfnisse und Empfindungen ignoriert werden können, weil sie in unserer Gesellschaft ohnehin bevorzugt werden.

Leute, die an der Woke-Ideologie Kritik üben, gelten unmittelbar als der Unterdrückung schuldig. Es gilt als tugendhaft sie mit möglichst allen zur Verfügung stehenden Mitteln zum Schweigen zu bringen und unschädlich zu machen, so lange sie sich nicht der dominanten Ideologie unterwerfen. Mit welchem Recht beliebige Einzelpersonen für sehr diverse Gruppen von Menschen sprechen können sollen, bleibt unbeantwortet. Wer es wagt danach zu fragen, wird als homophob, sexistisch oder rassistisch geächtet. Der Zweck heiligt dabei die Mittel. Soziale Ausgrenzung, Rufmord und gezieltes Mobbing sind die üblichen Methoden. Aber in einschlägigen Kreisen wird auch physische Gewalt als Reaktion auf Leute geduldet, die sich nicht anders einschüchtern lassen.

Wirkweise

Wenn wir es nicht endlich wagen, für unsere Rede- und Gedankenfreiheit aufzustehen, müssen wir akzeptieren, immer rascher in ein totalitäres Regime abzurutschen, in dem es nirgendwo mehr geduldet wird, unbequeme Fragen zu stellen. Auch wenn wir derartigen Abläufen schweigend zusehen, tragen wir leider die Verantwortung dafür, nicht unsere Grundrechte verteidigt zu haben. Unser untätiges Schweigen stärkt jene Leute, die uns unserer Freiheiten berauben, um im Eiltempo ihre ebenso totalitäre, wie nicht funktionierende neue Weltordnung umgedrehter Privilegienhierarchien einzurichten, die uns allen bloß zusätzliches Leid bringt. Einschließlich jener Leute, denen sie angeblich helfen will. Und das alles mit der behaupteten Absicht fairere Bedingungen für jene Menschen zu schaffen, die bisher benachteiligt waren.

Es ist entlarvend, dass dabei ganz besonders jene Menschen attackiert werden, die rational und gründlich recherchiert Wege suchen, im Alltag tatsächlich funktionierende Gleichberechtigung umzusetzen. Gleichberechtigung ist nicht das Ziel dieser Ideologie.

Ohne stereotype Geschlechterrollen und ähnliche binäre Zuordnungen von Gegensatzpaaren wäre schließlich keine Spaltung unserer Gesellschaft möglich. Es geht viel mehr darum, mit eiserner Faust eine neue, möglichst unabsetzbare Elite zu definieren. Wer allen bessere Lebensbedingungen verschafft, kann die propagierte Spaltung unserer Zivilisation nicht benutzen, um von diesem Feuerwerk verdeckt, die eigene Dominanz abzusichern.

Unbequem

Falls wir tatsächlich daran glauben, dass demokratische Prozesse für unser Wohlergehen förderlicher als eine Diktatur sind, müssen wir sogar das Recht auf freie Meinungsäußerung von Leuten verteidigen, die Dinge sagen, die wir persönlich abstoßend und falsch finden. Denn um sie tatsächlich unterdrücken zu können, müssten wir das allgemeine Recht auf Redefreiheit verwerfen. Und ohne das Recht Obrigkeiten zu kritisieren, sind wir rettungslos jenen Institutionen ausgeliefert, die gerade die größte Macht ausüben. Abgesehen davon können wir nur über Fehler in Positionen aufklären, wo diese Ansichten auch geäußert werden können.

Gefährliche oder abstoßende Ideen können nur eine Bedrohung für uns sein, wenn wir keine überzeugenden Argumente dagegen vorbringen können. Es ist immer problematisch, anderen unsere Meinung aufdrängen zu wollen. Wenn wir unsere eignen Positionen nicht einmal überzeugend begründen können, ist es völlig verkehrt.

Ein Recht darauf, nicht mit Meinungen konfrontiert zu werden, die uns eventuell verstören, wäre fatal, denn das würde eine Instanz voraussetzen, die entscheidet, was gesagt werden darf. Das wäre eine unmissverständlich totalitäre Vorgabe, die nicht mit einem demokratischen Prozess mit öffentlicher Beteiligung und kritischen Auseinandersetzung vereinbar ist. Eine Instanz, die uns bestimmte Gedanken und Konzepte vorschreiben kann, ist mit demokratischen Werten unvereinbar. Das wäre die Grundlage einer Diktatur.

Abschreckendes Beispiel

Despoten in totalitären Regimen wie Russland oder Afghanistan verweisen zur Rechtfertigung ihrer harten Linie dankbar auf die westliche Cancel Culture. Solche selbst-zersetzenden Tendenzen können sie als willkommene Beispiele jener Gefahren zeigen, vor denen sie ihr Volk vermeintlich schützen wollen. Freilich ist das nur eine Ausrede für ihre gnadenlose Bevormundung. Dennoch ist nachvollziehbar, dass Menschen aus anderen Kulturen eine derartige Eskalation wegen aus ihrer Sicht oft völlig absurden Ideen sehr befremdlich und verstörend finden. Wenn bei uns eine rational-wissenschaftsbasierte Vorgehensweise als repressiv abgelehnt wird und erregte Mobs die Zerstörung der Lebensgrundlagen von offensichtlich ihr Leben lang moralisch hoch motivierter Leute fordern, bloß weil sie es gewagt haben, der neuen vorherrschenden Ideologie in irgendeinem Aspekt nicht zuzustimmen, müssen wir uns nicht darüber wundern, dass der Westen kein erstrebenswertes Vorbild für unterdrückte Völker mehr ist. Und wir müssen uns ebenfalls nicht wundern, wenn wir selbst in ein Chaos stürzen, in dem sich erst Recht wieder jene Despoten durchsetzen, die bürgerliche Freiheiten lediglich als Behinderung ihrer persönlichen Vormacht verhindern.

Noch können wir wählen

Demokratie ist unbequem und lästig. Aber in Erwägung der Alternativen, ist sie ganz klar die Mühe wert. Wir können nicht davon ausgehen, dass andere unsere Interessen vertreten. Wir müssen uns eigenverantwortlich einmischen. Wenn wir nicht achtsam sind und unsere Mitgestaltungsmöglichkeiten ignorieren bzw. sie uns unter Vorwänden entziehen lassen, bestimmen andere nur zu gerne zu ihrem persönlichen Vorteil über uns.

Nur indem wir öffentliche demokratische Prozesse mit von einander unabhängigen Kontrollen einrichten, nutzen und bewahren, können wir rücksichtslose Machteliten verhindern und unsere Gesellschaft selbst mitgestalten. Dieser Prozess hängt davon ab, dass wir jederzeit alles kritisch hinterfragen dürfen.