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Geschlechtsneutral

Wieso frei gewählte Personalpronomen nicht funktionieren und keine Geschlechterneutralität bringen.

Eine laute Minderheit heutzutage besteht darauf, dass Leute sich völlig frei die Geschlechtspronomen aussuchen können müssen, die für sie verwendet werden sollen. Weil diese Wahl jederzeit völlig frei getroffen und geändert werden können soll, gibt es natürlich auch keine äußeren Attribute, anhand denen wir bei uns Unbekannten Leuten auf jene Zuordnungen schließen könnten. Diese Situation macht uns also sozusagen alle geschlechterblind. Im Prinzip klingt das für Leute positiv, die Vorurteile überwinden wollen. Allerdings liegt dieser Vorgehensweise ein Widerspruch zu Grunde, der uns konstant in Teufels Küche bringt:

Es wird uns nämlich trotz dieser Geschlechterblindheit mit Nachdruck abverlangt, trotzdem (frei gewählte) geschlechtsspezifische Pronomen verwenden zu müssen. Wenn wir das nicht machen, werden wir gesellschaftlich als Menschen geächtet, die andere Leute absichtlich unterdrücken. Allerdings befinden wir uns in einer aussichtslosen Position. Wir sollen genau das zuverlässig benennen, was wir nicht sehen können. Auch wenn wir uns blind darauf verlassen, immer nur jene Pronomen zu verwenden, die uns Leute direkt mitteilen, wird dieses Spiel zu einem Spießrutenlauf, da es uns als böswillig ausgelegt wird, wenn wir uns falsch erinnern oder eine plötzlich neu gesetzte Zuordnung übersehen.

Das Unmögliche verlangen

Das gleicht einer Gesellschaft, in der wir von blinden Leuten fordern alle Objekte immer mit ihren jeweiligen Farben zu benennen. Und natürlich können Objekte in völlig verschiedenen Farben vorhanden sein. Woher sollen blinde Leute wissen, ob ein Ball rot, blau, gelb ist bzw. eine andere Farbe oder gar eine Kombination aus verschiedenen Farben hat? Selbst wenn einige Leute ihnen sagen, welche Farben bestimmte Objekte in ihrer Umgebung haben, wenn sie ihnen begegnen, ist es reichlich absurd blinden Leuten eine zuverlässige Farbzuordnung abzuverlangen und sie gesellschaftlich als böswillig zu ächten, sobald sie falsche Zuordnungen machen. In dieser Situation erscheint mir sehr nachvollziehbar, dass sie versuchen die wahrscheinlichsten Farben zu raten. Bananen sind gelb und Äpfel sind rot. Selbst wenn auch ihnen klar ist, dass das nicht in allen Fällen stimmt. Es erscheint mir auch völlig absehbar, dass sie aufgeben und derartige Verpflichtungen völlig ablehnen, weil sie sich den Anforderungen nicht gewachsen fühlen. Blinde Leute haben einfach keine alltagstaugliche Möglichkeit, sich dem (unnützen) Diktat der zwingenden Farbbenennung zu beugen.

Beliebigkeit

Mir scheint es geht heutzutage nicht mehr wie in der traditionellen progressiven Linken darum, Geschlechterstereotypen aufzubrechen. Es ist nicht mehr das Ziel Menschen den Freiraum zu geben, sich abseits von Geschlechterstereotypen verhalten und kleiden zu können, ohne deswegen diskriminiert zu werden. Es geht heute viel mehr darum, selbst zu entscheiden, ob, und wenn, dann welche Stereotypen auf uns angewendet werden.

Das praktische Problem dabei ist, dass Stereotypen nicht von jenen Leuten gesteuert werden können, auf die sie angewendet werden. So funktionieren Stereotypen nicht. Sie sind eine pauschale Zuordnung aufgrund von äußerlich erkennbaren Attributen – also das genaue Gegenteil von Bezeichnungen aufgrund von bereits bekannten Informationen. Es erscheint mir also aussichtslos althergebrachte Geschlechtsstereotypen zur persönlichen Befreiung zweckentfremden zu wollen.

Wir können nur entweder eine tatsächlich geschlechtsneutrale Kommunikation realisieren, indem wir geschlechtsspezifische Sprachelemente durch vollständig geschlechtsneutrale Konstruktionen ersetzen oder müssen eben akzeptieren, dass Stereotypen oft falsch liegen. Es wundert mich allerdings sehr, dass es keine Bewegung gibt, die unsere Sprache tatsächlich geschlechtsneutral machen möchte, indem wir eben die momentan unausweichlichen dauernden Geschlechtszuordnungen durch wirklich geschlechtsneutrale Formen ersetzen.

Kein Weg zurück

Die deutsche Sprache hat offenbar die längste Zeit über Geschlechter praktisch beliebig vergeben und oft die kürzere männliche Form verwendet, wo eigentlich kein spezifisches biologisches Geschlecht gemeint war. Dann fiel uns auf, dass allein die Benützung geschlechtsspezifischer Bezeichnungen uns dazu bringt, bei Personen auch entsprechende biologische Geschlechter zu erwarten. Deswegen haben wir begonnen, diese Bezeichnungen als Hinweise auf biologische Geschlechter zu sehen und sie bewusster einzusetzen. In der neuesten Entwicklung wird die biologische Grundlage von Geschlechtszuordnungen völlig über Bord geworfen und darauf bestanden, dass Geschlechtszuordnungen ausschließlich gesellschaftlich wären und nichts mit Biologie zu tun haben.

In gewisser Weise ist das wieder eine Rückkehr zum Zustand vor der Einsicht, dass uns geschlechtsspezifische Bezeichnungen ein biologisches Geschlecht erwarten lassen. Es ist fast so, als wollten wir in den Zustand vor dem Sündenfall zurückkehren. Wir wollen wieder vergessen, was wir inzwischen verstanden haben.

Es erscheint mir allerdings unmöglich unsere Erkenntnis wieder abzuschütteln. Wir können nicht mehr so tun, als würde uns eine geschlechtsspezifische Sprache keine biologischen Geschlechter erwarten lassen. Dennoch beharren die Proponenten der freiwilligen Personalpronomen darauf, dass wir alle uns gefälligst völlig ungehindert von (nicht mal implizit erwarteten) biologischen Grundlagen als beliebige Geschlechter bezeichnen lassen können müssen. Alle, die das als aussichtslos und hoffnungslos verwirrend ablehnen, werden als böswillige Leute diffamiert. Es wird offenbar davon ausgegangen, dass alle, die diese neuen Sprachregeln ablehnen, das nur tun, um andere Leute auf diese Weise unterdrücken zu können. Wobei mir nicht begreiflich ist, was den vermeintlichen Unterdrückenden eine derartige Absicht bringen würde. Ist die Theorie, dass Leute, die die Verwendung von beliebigen frei gewählten Geschlechtszuordnungen verweigern, das tun, weil sie eine Art hämische Freude am Leid jener haben, denen die Umsetzung dieses widersprüchlichen Dogmas ein schwerwiegendes Anliegen ist, da ihr persönliches Wohlbefinden davon abhängig machen?